Wissenschaftler:innen drängen: Wir brauchen eine Ernährungswende – jetzt mehr denn je!

Europa erlebt derzeit den größten bewaffneten Konflikt seit dem Zweiten Weltkrieg. Der Einmarsch Putins in die Ukraine hat eine humanitäre Katastrophe ausgelöst und führt bereits jetzt zu einer instabilen Lebensmittelversorgung und steigenden Lebensmittelpreisen auf den Weltmärkten. Wissenschaftler:innen des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), der Universität von Oxford und weiteren Forschungseinrichtungen fordern in einem heute veröffentlichten Positionspapier eine umfassende Umstellung der Nahrungssysteme, um langfristig die Ernährung zu sichern und unseren Planeten zu schützen. Mehr als 190 Wissenschaftler:innen haben das Papier bereits unterzeichnet.

Die Ukraine und Russland sind weltweit führende Exporteure von Weizen, Mais und Ölsaaten. Wenn – wie zu erwarten – die Ernten in der Ukraine dieses Jahr nicht exportiert werden können, könnten Nahrungsmittelknappheit und Preissteigerungen in den importabhängigen Ländern zu Armut und Hunger führen, warnen die Wissenschaftler:innen. Besonders betroffen sind Länder im Nahen Osten und Nordafrika. Prekär ist nicht der Mangel an Nahrungsmitteln, sondern die ungleiche Verteilung. Um langfristig die globale Ernährung zu sichern, schlägt das interdisziplinäre Forscherteam drei Maßnahmen vor.

„Wenn wir den Fleischkonsum in Europa und anderen einkommensstarken Ländern reduzieren, könnte das die Ernährungssicherheit in gefährdeten Teilen der Welt deutlich verbessern,“ erklärt Sabine Gabrysch, Forscherin am PIK und Co-Autorin des Positionspapiers. „Momentan wird ein Drittel der weltweit produzierten Kalorien an Tiere verfüttert und mehr als drei Viertel der landwirtschaftlichen Flächen dienen der Herstellung tierischer Nahrungsmittel.“ Die Autor:innen schlagen außerdem vor, den Anbau von stickstoffbindenden Hülsenfrüchten und nachhaltigere Formen der Landwirtschaft auszuweiten. Beides ist wichtig, um die Abhängigkeit von energieintensiv hergestelltem Stickstoffdünger und dem weltweit größten Exporteur Russland zu reduzieren. Als dritte Maßnahme fordern die Autor:innen, Lebensmittelabfälle einzudämmen. Denn noch immer landet ein Drittel der Nahrungsmittel ungenutzt im Abfall.

Eine Ernährung, die größtenteils auf pflanzlichen, unverarbeiteten Lebensmitteln basiert und weniger Tierprodukte enthält, hat indes erhebliche Vorteile für die Umwelt und die Gesundheit. Weil Flächen für Viehzucht und den Anbau von Futtermitteln drastisch reduziert würden, könnten natürliche Lebensräume und biologische Vielfalt erhalten werden. Zudem könnten so weltweit jedes Jahr elf Millionen vorzeitige Todesfälle in Zusammenhang mit ungesunder Ernährung verhindert werden. Denn allein in Europa sind jährlich 25% aller vorzeitigen Todesfälle auf eine ungesunde Ernährung zurückzuführen.

Eine gute Gesundheit und eine gesunde Umwelt, die den Lebensunterhalt sichert und ausreichende Mengen an Nahrung und Wasser bereitstellt, sind Voraussetzungen für Frieden und geopolitische Stabilität. „Jetzt konsequent den Wandel zu einer gesunden und nachhaltigen Ernährungsweise voranzubringen ist essentiell, um gegen zukünftige Krisen gewappnet sein und schafft Sicherheit und eine lebenswerte Umwelt für zukünftige Generationen,“ sagt Marco Springmann, Wissenschaftler an der Universität von Oxford und Co-Autor des Papiers. Auch die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) setzt sich für die Ernährungswende ein und weist auf die erheblichen Vorteile für Gesundheit und Klima hin. Der aktuelle Bericht des Weltklimarats zeigt deutlich, dass nur noch ein kurzes Zeitfenster für wirksame Maßnahmen bleibt. Insbesondere in Hinblick auf das Treffen der EU-Agrarminister:innen am kommenden Montag muss also klar sein: Es ist jetzt an der Zeit zu handeln.

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