Die Klimakrise ist weltweit spürbar. Auch in Deutschland sind wir von Extremwetterereignissen und Umweltveränderungen betroffen, die sich auf unsere Gesundheit auswirken. Eines der dramatischsten Beispiele ist die Hochwasserkatastrophe in NRW im Juli 2021, die zahlreiche Menschenleben gekostet hat und mit all ihren Folgen eine fortwährende Belastung für die Betroffenen darstellt.
Seit der Jahrtausendwende nehmen weltweit hitzebedingte Erkrankungen und Todesfälle
kontinuierlich zu. Luftverschmutzung, die maßgeblich durch das Verbrennen fossiler Energieträger verursacht wird, erhöht das Risiko für Atemwegs- und Herz-Kreislauferkrankungen und ist mit einer eingeschränkten geistigen Leistungsfähigkeit assoziiert. Luftverschmutzung und Klimawandel bewirken darüber hinaus einen dramatischen Anstieg allergischer Erkrankungen. Besonders gefährdet sind Menschen in urbanen Regionen, wo sich insbesondere im Sommer die Hitze staut und Luftschadstoffe sowie Allergene akkumulieren. Die Veränderung der klimatischen Verhältnisse und die Zerstörung natürlicher Lebensräume führen zudem zur Ausbreitung von Infektionserregern und machen deren pandemische Ausbreitung wahrscheinlicher.
Als Ärzt:innen, Pflegefachpersonen, Therapeut:innen, Auszubildende, Studierende und Beschäftigte in Gesundheitsberufen tragen wir gemeinsam mit der Politik die Verantwortung für die Gesundheit der Bevölkerung. Die Datenlage zu den negativen Auswirkungen eines ungebremsten Klimawandels und der weiteren Zerstörung natürlicher Systeme auf die Gesundheit unserer Patient:innen ist eindeutig. Gleichzeitig liegen die Lösungen für ein klimafreundliches und gesünderes Leben bereits vor.
Wir fordern daher die politischen Entscheidungsträger:innen in NRW dazu auf, diesen
gesundheitlichen Notfall klar zu benennen und ihn rasch und konsequent zu behandeln.
Allein in Deutschland könnten durch konsequente Klimapolitik 150.000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr verhindert werden.
Viele Maßnahmen, die einen positiven Effekt auf Umwelt und Klima haben, wirken sich auch unmittelbar auf die Gesundheit aus und steigern die Lebensqualität. Durch eine verringerte Luftverschmutzung, mehr aktiver statt motorisierter Fortbewegung und eine ausgewogene, vorwiegend pflanzliche Ernährung können viele Zivilisationserkrankungen vermieden werden. Eine aktuelle Studie schätzt, dass die sofortige und konsequente Umsetzung des Pariser Klimaabkommens allein in Deutschland ab Mitte des Jahrhunderts 150.000 frühzeitige Todesfälle im Jahr verhindern könnte.
Die Landtagswahl 2022 in NRW, dem bevölkerungsreichsten Bundesland und wichtigen
Industriestandort Deutschlands, ist wegweisend dafür, ob Deutschland seinen Verpflichtungen im Rahmen des Pariser Klimaabkommens nachkommt und schnellstmöglich Klimaneutralität erreicht. Nur durch entschlossenes Handeln auf Länder-, Bundes- und internationaler Ebene kann das Ziel, die Erderhitzung auf maximal 1,5 °C zu begrenzen, noch erreicht und die Auswirkungen des Klimawandels auf die planetare und menschliche Gesundheit überhaupt noch beherrscht werden. Die politische Richtung und die Geschwindigkeit der Umsetzung, die durch die Landtagswahl bestimmt werden, ist somit entscheidend für den Erhalt einer lebenswerten Zukunft.
Unsere Forderungen für die Landtagswahl 2022:
1. Klimakrise als Notfall behandeln
Die Politik der kommenden Jahre muss die Klimakrise als Notfall behandeln. Die Belastungsgrenzen natürlicher Systeme, von denen die menschliche Gesundheit direkt abhängt, müssen in allen politischen Ressorts berücksichtigt werden. Dazu ist insbesondere die Transformation hin zu einer klimaneutralen und umweltverträglichen Wirtschaft notwendig.
2. Rahmenbedingungen für eine klimagerechte Gesellschaft schaffen
Klimafreundliches und gesundes Verhalten kann nicht alleine die Verantwortung einzelner Menschen sein – es braucht gesetzliche Rahmenbedingungen. Das Abwälzen der Kosten der Klimakrise auf benachteiligte Bevölkerungsgruppen, in andere Teile der Welt und auf zukünftige Generationen muss ein Ende haben.
Zukünftige Entscheidungsträger*innen müssen klimaschädliche Subventionen umgehend beenden und die dadurch verfügbaren Gelder sozial gerecht in den nachhaltigen Strukturwandel investieren. Dies ist umso wichtiger, da insbesondere sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen unter den negativen gesundheitlichen Folgen von Umweltbelastungen wie Luftverschmutzung und steigenden Temperaturen leiden. Neben Klimaschutz- müssen dringend auch Anpassungsmaßnahmen konsequenter umgesetzt werden, um die Vulnerabilität der Bevölkerung gegenüber Klimawandelfolgen zu senken und Ungleichheiten zu reduzieren. Hierzu gehören insbesondere Katastrophen-Frühwarnsysteme und Hitzeaktionspläne.
3. Gemeinsam Lösungen finden und kommunizieren
Um geeignete Klimaschutz- und Anpassungsstrategien zu entwickeln, sollten Bürger*innen am politischen Diskurs beteiligt werden. Ein passendes und bereits erprobtes Instrument können Bürger:innenräte sein. Beschlüsse zu notwendigen Maßnahmen müssen von der Politik transparent und niederschwellig an die breite Öffentlichkeit kommuniziert werden. Dazu gehören beispielsweise Kampagnen der Landesregierung, in denen die Folgen des Klimawandels für unsere Zukunft und unsere Gesundheit verständlich dargestellt werden. Dabei muss deutlich werden, dass Klimaschutz auch Gesundheitsschutz ist.
4. (Klima-)Gesunde Energieversorgung fördern
- Krankheitslast durch fossile Energieträger und Luftverschmutzung senken
Die Verbrennung von Kohle und anderen fossilen Energieträgern führt zu massiver Luftverschmutzung und Feinstaubbelastung. Dadurch kommt es vermehrt zu Erkrankungen der Atemwege, des Herz-Kreislaufsystems, Krebserkrankungen und Entwicklungsstörungen bei Kindern. Neben diesen unmittelbar schädlichen Gesundheitsauswirkungen ist die Energiewirtschaft zudem für knapp 40 % der deutschen Treibhausgasemissionen und damit maßgeblich für die Klimakrise verantwortlich.
Das Land NRW produziert 31% der deutschen Emissionen und ist damit Deutschlands größter CO2-Emittent, woran insbesondere die in NRW betriebenen Kohlekraftwerke einen großen Anteil haben. - Durch Kohleausstieg Leben retten
Durch einen deutschen Kohleausstieg ließen sich laut einer Studie jedes Jahr bis zu 4.000 frühzeitige Todesfälle in Europa verhindern. Global gesehen würde sich die Lebenserwartung durch das Beenden der Verbrennung fossiler Energieträger im Schnitt um ein Jahr erhöhen. Wir fordern daher, alle Kohlekraftwerke in NRW bis spätestens 2030 abzuschalten und die Expansion der Tagebaue sowie die damit verbundene Zerstörung der Ortschaften umgehend zu stoppen. Der Ausbau erneuerbarer Energien unter Beteiligung der Bürger:innen muss oberste Priorität haben, um unsere Gesundheit zu schützen und die Energiesicherheit der Zukunft zu sichern.
5. (Klima-)Gesunde Mobilität ermöglichen
- Gesundheits- und klimaschädlichen Verkehr reduzieren
Der motorisierte Individualverkehr trägt insbesondere in Städten zu einer schlechten Luftqualität und zu erhöhter Lärmbelastung mit negativen gesundheitlichen Folgen bei. In vielen Städten in NRW werden regelmäßig die Grenzwerte für Luftschadstoffe überschritten. Darüber hinaus hat sich die Anzahl der Verkehrsunfälle in NRW seit den 1970er Jahren trotz technologischer Fortschritte bis 2019 verdoppelt. Auch der Flugverkehr in NRW trägt durch den massiven Ausstoß von Treibhausgasen in erheblichem Maße zum Klimawandel sowie durch Luftverschmutzung und Lärmbelastung zu negativen Gesundheitsfolgen bei. - Fahrrad und öffentlichen Nahverkehr fördern, Nachtflugverbot einführen
Eine Förderung von nicht-motorisierter Mobilität senkt nicht nur die CO2-Emissionen, sondern trägt auch zur Prävention diverser Zivilisationskrankheiten bei. Gerade im dicht besiedelten NRW ist ein modernes, dekarbonisiertes und sicheres öffentliches Mobilitätsnetz zentral für den Schutz von Gesundheit und Klima. Die Einführung von Tempolimits, verkehrsberuhigten Zonen, autofreien Quartieren und ein landesweites Nachtflugverbot sind nur einige der politischen Instrumente, die umgesetzt werden sollten. Gleichzeitig ist eine rasche Verbesserung der Infrastruktur für klimafreundliche Mobilitätsformen wie Fahrrad, Bahn und Fußgänger:innen notwendig.
6. (Klima-)Gesunde Ernährung fördern
- Folgen ungesunder Ernährungsstile verhindern
Unsere Ernährungsweise und unsere Form der Landwirtschaft verursachen mehr als 25% der weltweiten Treibhausgasemissionen und tragen zur Zerstörung natürlicher Lebensräume und dem zunehmenden Artensterben bei. In Deutschland wurde beispielsweise während der vergangenen 27 Jahre eine 76%-ige Reduktion der Biomasse fliegender Insekten beobachtet. Ein Großteil davon sind bestäubende Insekten, die für die Produktion von Grundnahrungsmitteln und somit für die Versorgung mit lebenswichtigen Vitaminen und Mikronährstoffen unerlässlich sind. Zusammen mit den direkten Klimawandelfolgen wie Hitzewellen, Dürren und Überschwemmungen bedroht das Artensterben unsere Ernährungssicherheit in zunehmendem Maße. Gleichzeitig führt der übermäßige Verzehr an hochverarbeiteten und tierischen Lebensmitteln zu einer Zunahme an ernährungsbedingten Erkrankungen, zu denen unter anderem krankhaftes Übergewicht, Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen oder Krebserkrankungen gehören. - Klimafreundliche und gesunde Ernährung fördern
Ernährung ist der Schlüssel für eine gesunde Lebensweise und eine gesunde Umwelt. Die Förderung einer überwiegend pflanzenbasierten Ernährung würde nicht nur maßgeblich zur globalen Ernährungssicherheit beitragen, sondern auch weltweit ca. 11 Mio. vorzeitige Todesfälle pro Jahr verhindern. Hierfür müssen die notwendigen Rahmenbedingungen auf politischer Ebene geschaffen werden, ohne die Verantwortung auf die einzelnen Verbraucher:innen abzuschieben. Um die heimische Artenvielfalt, die Fruchtbarkeit der Böden sowie die Gesundheit von Mensch und Tier zu schützen, muss sich die Landwirtschaft in NRW an ökologischen Maßstäben orientieren.
7. (Klima-)Gesunde Städte gestalten
- Erkrankungen und Todesfälle durch Umweltbelastungen verhindern
Enge Bebauung und versiegelte Flächen bedingen in Städten die Entstehung von Hitzeinseln. Erhöhte Ozonbelastung und hohe Feinstaubkonzentration bedrohen die Gesundheit der dort lebenden Menschen. Der in den Sommermonaten auftretende Hitzestress verstärkt Krankheitssymptome von Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen und führt zu einem deutlichen Anstieg der Sterblichkeit. In der dicht besiedelten Metropolregion Rhein-Ruhr ist das Risiko für die Ausbildung von Hitzeinseln und damit die Gesundheitsgefahr besonders hoch. Vor allem ältere Menschen, sozial benachteiligte Personen und Menschen mit chronischen Erkrankungen sind besonders gefährdet. - Lebensqualität durch gesundes Stadtklima erhöhen
Klima- und gesundheitsfreundliche Stadtentwicklung muss zum Standard werden. Sie ist u.a. gekennzeichnet durch Flächenentsiegelung, Ausbau von Grün- und Wasserflächen, Dach- und Fassadenbegrünung sowie eine deutliche Reduktion des Autoverkehrs. Ein weiterer Schwerpunkt muss die Ausarbeitung und Umsetzung von Hitzeschutzplänen und die Umsetzung von Maßnahmen zum Schutz gefährdeter Patientengruppen sein. Eine sozial gerechte Stadtplanung muss zudem die unterschiedlich hohe Belastung durch Umweltprobleme mindern und einen Zugang zu Erholungsflächen für alle Bewohner:innen schaffen.
8. (Klima-)Gesundes Gesundheitswesen schaffen
- Treibhausemissionen und Energieverbrauch im Gesundheitswesen senken
Der Gesundheitssektor ist für circa 5 % der Treibhausgasemissionen in Deutschland verantwortlich und trägt damit aktiv zur Klimakrise und der damit verbundenen Krankheitslast in Deutschland bei. Bei der Vielzahl an Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen in NRW, ließe sich durch eine Steigerung der Energieeffizienz und dem flächendeckenden Einsatz erneuerbarer Energien bereits ein Teil dieser Emissionen vermeiden. Ein Großteil der Treibhausgase und Umweltbelastungen entsteht zudem bei Produktion, Transport und Entsorgung medizinischer Güter. Darüber hinaus muss festgestellt werden, dass das Gesundheitssystems weder auf Krisensituationen noch auf eine Veränderung des Klimasystems ausreichend vorbereitet ist. - Ziel der Klimaneutralität ausrufen und Gesundheitswesen krisensicher machen
Die Klimaneutralität des Gesundheitswesens bis 2035 muss als politisches Ziel festgelegt und strategisch umgesetzt werden. Hierfür müssen zeitnah Rahmenbedingungen geschaffen werden, die eine emissionsfreie Gesundheitsversorgung aktiv fördern, beispielsweise durch Kopplung von Investitionen an Nachhaltigkeitskriterien. Alle Bereiche, insbesondere die Lieferketten, müssen dabei beachtet werden. Um die Resilienz des Gesundheitssystems auch in Krisenzeiten sicherzustellen, bedarf es einer Transformation des Systems von einer reinen Profitorientierung hin zu einer Optimierung der Versorgungsqualität und einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen insbesondere in den Pflegeberufen.
Autor:innen:
Dr. med. Jana Leberl, Judith Mohren (OG Köln)
Sarah Blau, Alisa Dannenberg, Georg Volk (OG Aachen)